50 Jahre nach dem Kniefall von Willy Brandt wird über die „ikonischen Bilder“ aus Warschau berichtet. Viele Fotos auf Instagram aber zeigen gar nicht das Motiv, das Historiker als ikonisch bezeichnen. Was ist da los?
Am 7. Dezember jährte sich der Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Viele Medienmarken verwendeten auf Instagram Bilder von 1970 und berichtet über die „ikonische Bilder“. Aber welche Fotos von damals sind eigentlich ikonische und welche Fotos wurden verwendet?
In einem Thread auf Twitter habe ich ein paar Beobachtungen notiert und Gedanken dazu aufgeschrieben:
1/ Beobachtung I:
Das Foto, das von deutschen Medien (bei Instagram) am häufigsten verbreitet wird, sind die Fotos, die Brandt von vorne zeigen. Ein Foto ist von Engelbert Reineke, damals Fotograf für das Bundespresseamt, das andere Foto aus ähnlicher Perspektive. Aber … pic.twitter.com/pG26qGILDG
— Mathias Schumacher (@matschbild) December 7, 2020
Aber es waren circa zwei Dutzend Kameraleute vor Ort, so Historiker Gerhard Paul im Deutschlandfunk. „Drei deutsche Fotografen waren da: Sven Simon, Hans Hubmann und ich. Ich hätte aber lieber auf dem Platz vom Hubmann gestanden“, sagt Engelbert Reineke 2020 beim Medien @mediasres. Alle drei haben Brandt aus unterschiedlicher Perspektiven (von links, rechts, schräg vorne) fotografiert. Für Historiker Paul ist das Foto von Sven Simon bzw. Axel Springer jr. jedoch das bekannteste Foto des Kniefalls.
Beobachtung II:
Weil wir als Medien auf Instagram andere Bilder veröffentlichen als in der „alten Medienwelt“, haben wir offenbar sogar Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung politischer Bilder-Ikonen. Das Foto mit Kranz und der ganzen Szene wirkt viel ruhiger, aufgeräumter und lässt die Geste Brandts, den Kniefall, viel würdevoller und – überhaupt – wirken. Die Instagram-Posts und Carousels – teilweise mit Text – reduzieren das Foto (leider) nur auf den ikonische Kniefall. Der gesamte bildliche Kontext ist nur Hintergrund.
Beobachtung III:
Warum ist das so? Warum ist die Fotoauswahl für Social Media anders als vorher?
Natürlich ist es auf den Umstand zurückzuführen, dass Instagram-Posts in der Regel im Format 1:1 oder 4:5 gedacht werden. Die Bildauswahl wird also entsprechend den Vorgaben ausgewählt. Aber es wird auch überwiegend das Material von Fotoagenturen verwendet. Redaktionen nutzen heute die Fotos, die vorhanden sind. Alle Posts im zweiten Tweet basieren beispielsweise auf dem Bildmaterial der Nachrichtenagentur dpa. Zufall? „Politische Bilder begegnen uns heute ständig in Fotos, Memes, GIFs, aber wir sehen dabei auch einen Verlust ihrer Besonderheit und Einzigartigkeit“, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Stephanie Geise zur Wirkung von Ikonen in digitalen Medien im Deutschlandfunk Kultur.
8/ Fazit:
Dieser Thread ist gerade aus der Beobachtung entstanden, dass ich den *Kniefall von Warschau* mit einem anderen Foto assoziert habe.
Die Frage bleibt: Haben digitale Plattformen wirklich die Macht die Rezeption von ikonischen Bildern zu beeinflussen?
— Mathias Schumacher (@matschbild) December 7, 2020