Er macht mehr als Fotos von Leuten, die Fotos machen: Florian Müller. „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ heißt seine Fotoausstellung, die mich so beeindruckt hat, dass ich ihm ein paar Fragen dazu stellen musste.
Einen Blick hinter die Kulissen von Instagram zu werfen ist schwierig. Noch schwieriger ist es, wenn man versucht mit dem Medium Fotografie Instagram und seine User so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Projekte wie Boyfriends of Instagram wollen die Absurdität der Inszenierung von Instagram-User und Influencern entlarven und diese bloßstellen.
Fotojournalist Florian Müller geht einen anderen Weg. Sein Langzeitprojekt „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ begleitet seine Protagonisten intensiver und analytischer. Mit seinem Ausstellungskonzept geht Florian noch einen Schritt weiter und holt das eigentlich digitale Thema zurück in die analoge Welt. Der Spagat gelingt – und ist bereits preisgekrönt. Beim Lumix Festival für jungen Fotojournalismus 2018 gewann der ehemalige Fotostudent den renommierten Freelens Award.
Die Ausstellung „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ ist im Herbst 2019 in der Galerie für Fotografie (GAF) in Hannover zu sehen sein. Die Eröffnung ist am 16.10.2019 geplant.
“Hashtags Unplugged” – diese Ausstellung von Florian Müller hat mich im November in Hamburg sehr beeindruckt. pic.twitter.com/hJXu3LgIQ0
— Mathias Schumacher ? (@matschbild) January 21, 2019
Interview mit Florian Müller:
In Deinem fotografischen Essay „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ geht es um Selbstdarstellung auf Instagram. Wie stellst Du Dich selbst bei Instagram dar?
Florian Müller: Vermutlich nicht besonders geschickt! Die Fotos, die ich dort teile, sind größtenteils Bilder aus meinem Archiv, also sowohl Einzelbilder, Bilder aus Reportagen oder Bilder, die in einem größeren Zusammenhang keine Verwendung gefunden haben. Die Bilder, die ich teile sind also eher das Gegenteil von instant und auch die Unmittelbarkeit der Storyfunktion nutze ich kaum. Zudem halte ich mich mit persönlichen Inhalten, die keinen Bezug zu meiner Fotografie haben, auch eher zurück. Das mag auf den einen oder anderen vielleicht sogar unpersönlich wirken, liegt aber daran, dass ich das „alte“ Konzept von Privatsphäre nach wie vor mag.
Selbstdarstellung im Internet gab es ja auch schon vor Instagram. Warum waren gerade die User dort interessant für Dich?
Florian Müller: Dass die Wahl auf Instagram fiel hatte mehrere Gründe. Der Wichtigste ist sicherlich, dass dort hauptsächlich über Bilder kommuniziert wird. Ich fand es spannend, mich auf die Bilder meiner potentiellen Protagonisten zu beziehen und diese auch als erzählerische Elemente in meine Arbeit einfließen zu lassen.
Zudem fand ich es spannend, dass Instagram ursprünglich einem Ansatz folgen sollte, der dem Fotojournalismus gar nicht so fremd ist. Das Konzept der App war, dass die subjektive Wahrnehmung, der persönlichen Blick auf alltägliche, aber auch besondere oder zumindest bemerkenswerte Dinge für die anderen Nutzer sichtbar werden soll. Nick Statt, ein amerikanischer Journalist, hat die Idee in der Anfangszeit von Instagram wie folgt ausgedrückt: “Viewed through a social-network lens, if (…) Facebook is a view into a persons world from a social one, then Instagram is the next frontier: the closest thing to participating in someone elses physical experience, visually.” Es sollte dabei also – zumindest theoretisch – nicht mehr nur darum gehen, am Leben des anderen Nutzer über seine Fotografien teilnehmen zu können, sondern darum, mit seinen Augen zu sehen.
Fotojournalisten machen ja etwas ähnliches. Auch wir geben ja unsere Erfahrungen in Form von Bildern an die Betrachter weiter. Auch das ist subjektiv. Nur sind wir dabei nicht nur an unsere eigenen Wertvorstellungen gebunden, sondern auch die berufsethischen Normen. Vom Ursprungsgedanken der App ist allerdings nicht mehr allzu viel übrig geblieben, was sich schon an der Verbreitung von Selfies zeigt, die offenlegt, dass es in der Praxis von Instagram fast ausschließlich darum geht, sich vorwiegend selbst darzustellen. Aber auch die Inhalte, sowie die instagratypische Ästhetik verwässern den Ansatz natürlich.
Und zu guter letzt interessieren mich neben den Werten, mit denen oder über die sich die Instagramer darstellen, auch die Motive und Auswirkungen ihrer Selbstdarstellung.
War das Arbeiten mit Instagram-affinen Protagonisten anders als mit Menschen, die Du normalerweise fotografierst?
Florian Müller: Das kann ich so eigentlich nicht behaupten. Ein großer Unterschied war natürlich, dass sie es alle auf die ein oder andere Art und Weise gewohnt sind, fotografiert zu werden oder zu fotografieren. Das war auch die große Herausforderung, Fluch und Segen zugleich, für mich. Denn viele sind es gewöhnt, sich für die Kamera zu inszenieren. Sie wissen genau, wie sie „gut“ in ihrem Sinne aussehen.
Sie haben zum Teil klare Vorstellungen davon, wie sie sich zeigen wollen. Es war daher – im Vergleich zu anderen Geschichten – zum Teil schwer, sie unbeobachtet zu fotografieren oder sie von ihrem Drang nach Inszenierung zu befreien. Dementsprechend viel Zeit musste ich mit einzelnen Protagonisten auch verbringen, um sie – manchmal auch immer wieder neu – an mich zu gewöhnen, was mir nicht bei allen geglückt ist. Wenn ich gemerkt habe, dass Protagonisten eine gewisse Nähe nicht zulassen, musste ich ihnen gewissermaßen entfolgen und habe sie nicht weiter fotografiert.
„We’re all taking billions of pictures, so photography is more alive than ever, and at the same time, it’s more dead than ever.“ Würdest Du dieser These von Wim Wenders mit der Erfahrung aus Deinem Projekt zustimmen?
Florian Müller: Darüber lässt sich sicherlich nächtelang diskutieren. Der Leichengesang auf die Fotografie wurde in der Vergangenheit schon öfter mit verschiedenen Melodien angestimmt. Dabei finde ich es persönlich schwierig, heutzutage überhaupt noch von „der Fotografie“ zu sprechen. Ich beziehe die Aussage Wenders einfach mal auf die journalistische oder dokumentarische Fotografie.
Worüber wir in diesem Zusammenhang sicherlich nachdenken müssen, ist die Demokratisierung des Mediums und ihre Auswirkungen. Fotografie, das ist nicht zu übersehen, hat inzwischen einen immensen Anteil an der Alltagskommunikation. Dank der digitalen Fototechnik kann heute nahezu jeder zu jeder Zeit ein Foto machen und es über das nahezu überall verfügbare Internet auch unmittelbar verbreiten oder sogar verwerten. Die Bilderflut ist wahr geworden. Damit müssen wir nun leben.
Die meisten Fotografien, die heute gemacht werden, sind allerdings im Prinzip Einwegartikel. Einmal gemacht, einmal betrachtet, vielleicht noch verschickt oder geteilt und eigentlich immer schnell auch wieder vergessen. Einen viel größeren Wert haben diese Bilder ja eigentlich nicht oder nur selten. Müssen sie aber auch nicht, denn diese Bilder erfüllen einen ganz anderen Zweck. Sie dienen in erster Linie der Kommunikation um der Kommunikation willen. Und das ist ja grundsätzlich begrüßenswert. Wir Fotografen sollten uns als visuelle Kommunikatoren also eigentlich in einer guten Position sehen.
Ich habe das Gefühl, dass sich in der Entwicklung auch ein enormes Potenzial verbirgt, insbesondere was das Selbstverständnis der Bildjournalisten betrifft. Das zeigt sich nicht zuletzt auch in der vitalen Diskussionskultur innerhalb der journalistischen Fotografie, die sich Problemen widmet, die lange Zeit unbeachtet geblieben sind. Dabei geht es immer wieder darum, wer eigentlich die Bilder macht, die wir zu sehen bekommen. Das finden wir beispielsweise in den Diskussionen, in denen es darum geht, dass das Bild von Afrika nach wie vor von einer eurozentristischen oder postkolonialen Perspektive geprägt ist.
Das finden wir aber auch in den Diskussionen über die Glaubwürdigkeit von journalistischer Fotografie, wie sie über Steve McCurry, Hossein Fatemi oder Souvid Datta geführt wurden, um nur einige zu nennen. Es wird zunehmend von Bedeutung, wer Fotos zu welchem Thema fotografiert. Es geht also vermehrt auch um ethische Fragen in der angewandten oder publizistischen Fotografie, mit denen wir uns beschäftigen müssen.
Tot ist die Fotografie nur, wenn sie stehenbleibt, starr wird. Und das sehe ich im Bezug auf die journalistische Fotografie nun wirklich nicht. Vielleicht fließt es hier und da etwas zähflüssig und das ist auch logisch in einer Zeit, die ein Umdenken erfordert, aber es fließt. Ich denke vor dem Hintergrund der angesprochenen Diskussionen über die Macht der Bilder, Repräsentation oder auch Glaubwürdigkeit an die spannenden Erzählformen oder Projektansätze, die es bereits gibt.
„Vielleicht wird sich die Art und Weise, wie wir Geschichten denken und erzählen verändern“
Nehmen wir Peter DiCampo, den Initiator des Everyday Africa-Projektes beispielsweise, der einen viel diskutierten und adaptierten Instagram-Kanal geschaffen hat, um über die Darstellung von Alltäglichem durch verschiedene fotografische Autoren Afrikas das Bild Afrikas aus dem Inneren geradezurücken. Oder man denke an Projekte wie das von Geert van der Kesteren, der in seinem Buch „Baghdad Calling“ neben eigenen auch Fotografien von Amateuren, also im Prinzip fotografische Fundstücke, nutzt, um eine multiperspektivische Erzählung über die Auswirkungen über die US-Invasion im Irak zu erzählen. Dadurch schafft er es, ein viel ausgewogeneres Bild zu zeichnen als es ein einzelner Autor vermutlich hätte schaffen können und durch die diese Amateurfotografien auch einen Wert in einem größeren Zusammenhang bekommen.
Vielleicht wird sich die Art und Weise, wie wir Geschichten denken und erzählen verändern.Im besten Fall können wir mit den tieferen Inhalten unserer Arbeiten der visuellen Verflachung entgegentreten. Unklar bleibt natürlich, wo wir unsere Bilder zukünftig zeigen werden und wie wir damit Geld verdienen – letzteres ist aber keine eigentliche Frage an die Fotografie.
Wenn wir die von Wenders geschilderte Situation auf die journalistische Fotografie beschränken, kann ich sehr viel Lebendiges entdecken. Ich teile den Kulturpessimismus vieler Kollegen nicht, denn Fotografie ist ja weitaus mehr und deutlich komplexer als nur das sichtbare oder gedruckte Bild. Wer sich angesichts von Amateurreportern dem Entzug seiner professionellen Daseinsberechtigung ausgesetzt sieht, verfügt über ein sehr limitiertes Bild dessen, was Fotojournalismus sein kann, wozu journalistische Fotografie in der Lage ist oder was es eigentlich bedeutet Fotojournalist zu sein.
Deine Fotoausstellung und Instagram sind eigentlich das genaue Gegenteil voneinander: Instagram ist digital, schnelllebig und vergänglich, Deine Ausstellung ist analog, entschleunigt und hält Momente fest. Soll „Hashtags Unplugged“ die schnelle digitale Welt anhalten?
Florian Müller: Ein schöner Gedanke eigentlich. … Die Arbeit ist als Ausstellungs- bzw. Buchprojekt konzipiert. Das liegt aber vor allem daran, dass ich Ausstellungen und Bücher sehr wertschätze. Als Betrachter entscheidet man sich viel bewusster, ein Buch anzuschauen oder eine Ausstellung zu besuchen, um sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, als man das macht, wenn man irgendwo im Netz zufällig über eine Arbeit stolpert. Das bringt schon die räumliche Trennung zu anderen Arbeiten mit sich. Natürlich entziehe ich mich über diese räumliche Trennung ein wenig der unmittelbaren Konkurrenz im Netz, aber ich baue mit der Arbeit ja auch Brücken in die Digitalität auf die ich mich beziehe.
Dadurch, dass die Arbeit zu jedem Protagonisten auch ein Bild von ihrem oder seinem Instagram-Profil enthält, sind verschiedene Perspektiven berücksichtigt. Indem alle Protagonisten in den Bildunterschriften – die ich in dieser Arbeit im Besonderen, aber auch generell in der journalistischen Fotografie für unverzichtbar halte – mit ihrem Instagram-Namen genannt werden, ist jeder Betrachter der Arbeit auch eingeladen, sich „selbst ein Bild zu machen“. Alle Instagram-User, von denen es ja mittlerweile auch 17 Millionen in Deutschland geben soll, können die Konten meiner Protagonisten besuchen, um meine Arbeit zu überprüfen oder abzugleichen.
„Wenn wir Bilder weniger als Faktenträger betrachten, sind wir schon viel näher an einem sinnvollen Umgang mit Fotografien“
Dieser Ansatz hat zwei Hintergedanken. Zum einen müssen wir uns einfach um eine Transparenz bemühen, um glaubwürdig zu bleiben. Das zeigen die Debatten, die es in den letzten Jahren in der journalistischen Fotografie gegeben hat. Zudem geht es ja nicht darum, die eine, objektiv messbare, Wahrheit zu vermitteln. Darum ging es noch nie, aber das kommt scheinbar für viele immer noch relativ überraschend. Stephen Mayes schlägt daher konsequenterweise einen veränderten Umgang mit Fotografien vor: Wenn wir Bilder weniger als Faktenträger betrachten und viel mehr als visuelle Erfahrung, die der Bildautor mit seinen Betrachtern teilt, sind wir schon viel näher an einem sinnvollen Umgang mit Fotografien.
Es geht schließlich darum, unsere Fotos, oder nach Mayes Erfahrungen, zu teilen und durch die Veröffentlichung in einen Diskurs zu unserem Thema einzubringen. Der Betrachter kann diese Erfahrungen mit seinen eigenen oder denen anderer abgleichen, um zu entscheiden, wem er glaubt oder wo er im Koordinatensystem zwischen den verschiedenen Positionen seine „Wahrheit“ verortet. Im Fall meiner Arbeit „Hashtags Unplugged“ kann er das auf verschiedene Arten tun. Ich biete ihm den Abgleich mit der digitalen Welt quasi an.
Weißt Du, ob Deine Protagonisten die Ausstellung schon gesehen haben? Falls ja, wie haben Sie reagiert?
Florian Müller: Ein paar haben die Ausstellung in Hamburg besucht, andere haben sich von Freunden Bilder schicken lassen, einigen habe ich Bilder geschickt. Es waren alle zufrieden und fühlten sich richtig wiedergegeben – was mich auch freut, denn die Leute, die auf den Bildern zu sehen sind, haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Ich habe die Arbeit mit den Leuten auch immer als Zusammenarbeit gesehen. Dazu gehört auch, dass ich vorher mit den Menschen auch darüber spreche, worum es geht, sodass auch niemand eine Überraschung zu erwarten hatte oder zukünftig haben wird. Gerade bei den zum Teil doch recht kontroversen Inhalten ist es meiner Meinung nach auch wichtig, das Vertrauen der Menschen, die mich mit der Kamera an ihrem Leben teilnehmen lassen, nicht zu enttäuschen.
Du musst viel Zeit zur Recherche auf Instagram verbracht haben. Hat sich durch Dein Projekt Deine persönliche Sicht auf die Plattform oder auf Social Media allgemein verändert?
Florian Müller: Auch diese Arbeit war wieder ziemlich rechercheintensiv und es wäre schlimm, wenn die Recherche und die Zeit, die ich investiert habe, nichts an meiner Sicht auf die Dinge verändert hätte. Wenn ich schon vorher alles gewusst hätte, hätte ich die Arbeit nicht machen müssen. Ich möchte die Inhalte und die Protagonisten, denen ich meine Zeit widme auch verstehen. Eine vorgefertigte Meinung zu haben und diese zu reproduzieren kann nicht das Ziel einer solchen Arbeit sein.
Ich muss schon sagen, dass Instagram als Kommunikationsplattform einfach eine Menge Spaß machen kann. Es ist gut, wenn Menschen sich austauschen und darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Viele sollten sich nur nicht so sehr davon einnehmen lassen. Die sozialen Netze in der anderen Welt da draußen dürfen nicht vernachlässigt werden. Es hat – und auch das ist eine Erfahrung aus meiner Arbeit – schon eine Berechtigung, dass Instagram in einer Studie als das gesundheitsschädlichste soziale Netzwerk betitelt wurde.
Du schafft mit Deinem Projekt den Sprung vom Digitalen ins Analoge. Wird es auch eine digitale Umsetzung von „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ geben?
Florian Müller: Ich muss gestehen, dass ich mich lange gedanklich mit einer sinnvollen digitalen Umsetzung herumgeschlagen habe. Zu einer wirklich befriedigenden Lösung bin ich noch nicht gekommen. Vielleicht bringt das die Zeit oder der Zufall mit sich. Für mich steht in Bezug auf diese Arbeit aber an erster Stelle, sie abzuschließen. Sie wird noch ein wenig wachsen.
Ein wenig Zeit möchte ich mir dafür noch nehmen. Es wird weitere Ausstellungen und hoffentlich irgendwann auch ein Buch geben. Für beide Präsentationsformen werde ich mir weiterhin Gedanken machen, wie sich eine Verbindung in die digitale Realität integrieren lässt.
Das Interview haben wir per Mail geführt.
(Fotocredit Headerbild: Die Ausstellung „Hashtags Unplugged – Von Lastern und Leitmotiven“ in der FREELENS Galerie in Hamburg. Foto: Florian Müller)